„Es muss mal so richtig auf den Putz gehauen werden“

In wichtigen Bereichen des eigenen Lebens mitbestimmen zu dürfen, fördert das Wohlbefinden und stärkt das Selbstbewusstsein. Allerdings gibt es in Schulen bislang nur selten feste Möglichkeiten zur Einflussnahme ­– obwohl Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit dort verbringen. Viele Schüler*innen haben daher das Gefühl, dass ihre Ideen und Bedürfnisse nicht gehört werden. Henri ist elf Jahre alt und besucht die sechste Klasse des Wentzinger-Gymnasiums in Freiburg. Er ist nicht nur Unterstufensprecher an seiner Schule, sondern auch Mitglied des Freiburger Schülerrats. Egal wo: Henri möchte zeigen, dass auch junge Schüler*innen eine Stimme brauchen – und dass wir ihnen häufiger und aufmerksamer zuhören sollten.

 

aula: Henri, in welchen Bereichen in deinem Leben hast du das Gefühl, mitbestimmen zu können?

Henri: Das ist eine gute Frage, da kann ich dir gar keine klare Antwort geben. In manchen Bereichen kann ich mich gut durchsetzen. Aber es gibt überall immer wieder Personen, die mir zu verstehen geben, dass sie die Ansagen machen – und das fühlt sich schon blöd an. In der Schule zumindest hat sich das Gefühl verbessert, seit aula eingeführt wurde. Aula ist ja auch dafür da, um ein Zeichen zu setzen und zu zeigen: „Hey, du kannst was ändern und deine Ideen sind nicht egal.“

aula: Denkst du, dass du in der Schule ernstgenommen wirst?

Henri: Ja, meistens werde ich schon ernstgenommen – aber das liegt auch daran, dass wir supernette Menschen an unserer Schule haben, die auch jüngere Leute wie mich ernstnehmen. Außerdem habe ich ja eine relativ wichtige Aufgabe durch den Freiburger Schülerrat. Vielleicht hängt es auch ein bisschen damit zusammen.

aula: Glaubst du, dass es deinen gleichaltrigen Mitschüler*innen da anders geht? Vor allem denen, die nicht in der SMV sind?

Henri: Ja, leider schon. Die meisten Schüler in meinem Alter denken sich zum Beispiel: „Ach, ich geh nicht auf aula, ich kann sowieso nichts ändern.“ Das liegt zum Teil an den Eltern, aber zum Teil auch an den Lehrern, die ihre Schüler nicht immer zum Mitmachen motivieren.

aula: Wie geht es dir im Vergleich zu den älteren Schüler*innen? Hast du das Gefühl, dass die eher ernstgenommen werden als du?

Henri: Ja, natürlich. Ich meine, als ich in die SMV gekommen bin, haben wahrscheinlich alle gedacht: „Oh Gott, wie süß.“ Die Großen bekommen halt mehr Respekt. Aber ich glaube, die Leute haben inzwischen gemerkt, dass ich was draufhabe und dass auch ich was bewegen kann. Jetzt geht es mir sehr gut in der SMV.

aula: Aber du musstest dir das erst erkämpfen?

Henri: Ja, schon. Von vielen wurde ich mit offenen Armen empfangen, aber es gibt halt immer Ausnahmen. Am Anfang gab es schon Leute, die über meine Ideen gelacht haben und meinten, dass das sowieso nichts wird.

aula: Wenn du sowas erlebt hast, fällt es dir dann trotzdem leicht, deine Ideen zu äußern – gerade vor den älteren Schüler*innen und den Lehrer*innen? Oder gibt es Momente, in denen du dir denkst: „Boah, das würde ich jetzt echt gern sagen, aber ich traue mich nicht“?

Henri: Ne, das Problem habe ich gar nicht. Ich sag´s dann einfach, ich habe ja nichts zu verlieren. Wenn es dann nicht gut ankommt, dann ist es eben so und die Idee landet im Papierkorb.

aula: Fällt dir etwas ein, was es brauchen würde, damit du noch besser mitentscheiden kannst?

Henri: Ne, gerade nicht. Außer: Also ich darf schon sehr viel mitentscheiden, aber ich bin leider kein Klassensprecher. Also ich darf zwar mit in die SMV-Sitzungen kommen, aber ich darf nicht bei Abstimmungen mitmachen.

aula: Das heißt, du diskutierst die ganze Zeit mit, aber am Ende darfst du nicht sagen, ob du dafür oder dagegen bist?

Henri: Ja, genau. Das finde ich schon blöd. Aber ansonsten bin ich schon gerne bei SMV-Sitzungen. Ich glaube, ich werde noch mit 90 im Rollstuhl sitzen und denken: „Ach, das waren tolle Zeiten.“

aula: Wieso möchtest du überhaupt aktiv deine Schule mitgestalten?

Henri: Ich hatte einfach schon immer richtig viel Bock, etwas zu bewirken und Sachen einfach zu machen. Es gibt einige Schüler, die behaupten, die Schule sei ihnen egal. Und diese Ist-Mir-Egal-Haltung habe ich nicht.

aula: Glaubst du, dass es ihnen wirklich egal ist?

Henri: Einigen vielleicht schon. Leider ist es aber bei vielen so, dass sie tatsächlich gerne etwas ändern würden, aber denken, dass sie zu klein dafür sind.

aula: Hast du eine Idee, was den jüngeren Schüler*innen helfen würde?

Henri: aula hilft auf jeden Fall. Aber es muss auch mal so richtig auf den Putz gehauen werden. Lehrer müssen ihren Schülern sagen: „Ey Leute, ihr seid nicht egal. Ihr könnt mitbestimmen, ihr seid ein wichtiger Teil dieser Schule.“

aula: Hast du selbst mal eine Idee auf aula gepostet? Und falls ja, magst du verraten, welche das war?

Henri: Ja, tatsächlich schon. In der SMV ist mal die Idee entstanden ein „Schulkino“ zu machen, das habe ich, als es aula dann bei uns gab, direkt eingestellt. Damit meine ich eine Art Sponsorenkino, wo Filme gezeigt und die Einnahmen dann für einen guten Zweck gespendet werden. Zum Beispiel, um den Menschen in der Ukraine zu helfen oder für eine bessere Bezahlung des Putzpersonals an unserer Schule. Aus der Idee ist dann aber nichts geworden. Wir sind eigentlich schon richtig gut vorangekommen, aber dann ist es an den Lizenzen gescheitert, die man für sowas braucht. Wir hätten halt nicht einfach Star Wars 4 bei uns im Kino zeigen dürfen.

aula: Glaubst du, dass Schüler*innen in Zukunft mehr mitentscheiden dürfen als jetzt?

Henri: Ja, schon. Jetzt gerade endet so die Generation von Lehrern, die sagt: „Wir sind die Chefs und ihr seid die Kinder und habt nicht mitzubestimmen.“ Ich habe das Gefühl, dass im Moment so eine Aufbruchsstimmung wieder herrscht und dass sich in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren viel tun wird und Schüler mehr entscheiden dürfen.

aula: Das heißt, du machst mit jüngeren Lehrer*innen andere Erfahrungen als mit älteren, wenn es um Mitbestimmung geht?

Henri: Ja. Es gibt auch ältere Lehrer, die wahnsinnig Bock haben tolle Sachen zu machen, aber es gibt auch viele, die einfach ihren Lehrplan durchziehen und bei denen es wirkt, als wäre ihnen egal, wie es ihren Schülern geht. Gerade viele junge Lehrer haben dafür umso mehr Lust und ein gutes Verhältnis zu ihren Schülern – die geben sich sehr viel Mühe.

aula: Henri, es dauert noch etwas, bis du die Schule verlässt, aber hast du trotzdem schon etwas, was du dir für nachfolgende Generationen von Schüler*innen wünschst?

Henri: Ich wünsche ihnen, dass die Lehrer ihnen auf Augenhöhe begegnen. Dass die Lehrer wirklich sagen: „Hey, du kannst was bewirken und ich helfe dir dabei.“ Dass die Lehrer sie an die Hand nehmen und den Weg mit ihnen zusammen gehen. Und dass die Schule dann nicht mehr nur ein Ort ist, an dem man lernt, sondern darüber hinaus zu einem tollen Ort wird, wo man einfach gerne seine Zeit verbringt.

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„Ich musste erst lernen, meine Meinung einzubringen“

In wichtigen Bereichen des eigenen Lebens mitbestimmen zu dürfen, fördert das Wohlbefinden und stärkt das Selbstbewusstsein. Allerdings gibt es in Schulen bislang nur selten feste Möglichkeiten zur Einflussnahme ­– obwohl Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit dort verbringen. Viele Schüler*innen haben daher das Gefühl, dass ihre Ideen und Bedürfnisse nicht gehört werden. Dass es auch anders geht, zeigt ein Interview mit Edda. Edda ist siebzehn Jahre alt und geht in die zwölfte Klasse der Ellen-Key-Schule in Berlin. Als Klassensprecherin erlebt sie, dass Mitbestimmung in der Schule funktionieren kann. Sie weiß aber auch, dass es dafür vor allem zwei Dinge braucht: Durchsetzungsfähigkeit und Zeit.

 

aula: Edda, zum Einstieg eine sehr große Frage: In welchen Bereichen in deinem Leben hast du das Gefühl, dass du mitentscheiden kannst?

Edda: Da gibt es viele! Erstmal in meiner Familie. Meiner Mutter ist die Meinung von uns Kindern sehr wichtig. Außerdem bin ich in einer Beziehung, da ist es natürlich auch wichtig, dass beide mitentscheiden können. In der Schule kann ich auch mitentscheiden. Allerdings sind das alles Felder, in denen ich erst im Laufe der Zeit gelernt habe, wie ich meine Meinung am besten einbringen kann – und dass ich mich trauen muss, es anzusprechen, wenn ich finde, dass ich nicht genug einbezogen werde.

aula: Hast du das Gefühl, dass du auf politischer Ebene Einflussmöglichkeiten hast?

Edda: Ja, klar. Ich bin siebzehn, das heißt, ich darf zumindest bei manchen Wahlen mitwählen. Ansonsten kann ich mich an Demonstrationen beteiligen. Natürlich hat man mehr Einfluss-möglichkeiten, wenn man volljährig ist, aber momentan stört mich das nicht. Ich merke, dass ich in den letzten zwei Jahren reifer geworden bin und erst jetzt angefangen habe, mich mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen. Außerdem werde ich in zwei Wochen schon achtzehn, also mal sehen, wie es dann wird.

aula: Du hast gesagt, dass Schule ein Bereich ist, in dem du mitentscheiden darfst. Fällt es dir leicht, dich in der Schule mit deinen Ideen und Bedürfnissen einzubringen?

Edda: Es ist nicht immer ganz einfach. Hier an der Schule gibt es achthundert Schüler, daher ist es schwer, alle Bedürfnisse zu berücksichtigen. Ich bin Klassensprecherin und damit Teil der Schülerversammlung, weshalb ich besondere Einflussmöglichkeiten habe. In der Schülerversammlung können wir Probleme gezielt ansprechen und die Anliegen von Klassen und Kursen einbringen. Da funktioniert das mit dem Beteiligen und Sich-Durchsetzen ganz gut. Gerade, weil unsere Schülersprecher in einem engen Austausch mit der Schulleitung stehen und so die Bedürfnisse der Schüler über sie weitergegeben werden können.

aula: Die Schülerversammlung wird deiner Meinung nach also ernstgenommen?

Edda: Ja, werden wir. Aber natürlich gibt es auch Dinge, die sagt man immer wieder und es funktioniert nicht.

aula: Was denn zum Beispiel?

Edda: Aktuell versuchen wir durchzusetzen, dass es Periodenprodukte auf den Schultoiletten gibt. Das Problem ist, dass einige Lehrer davon ausgehen, dass nicht sorgsam damit umgegangen wird. Dass die Produkte geklaut werden oder sowas. Ich finde, da bräuchte es eine Probephase, um zu testen, ob es nicht doch funktionieren kann. Daher: Es gibt schon manchmal ein Gegeneinander von den Bedürfnissen der Schüler und den Vorannahmen der Lehrer.

aula: Fühlst du dich heute ernstgenommener als in der Unterstufe oder vor deiner Zeit als Klassensprecherin?

Edda: Innerhalb der Schülerschaft auf jeden Fall. Wenn man älter ist, wird man auch eher ernstgenommen. Aber ich habe gemerkt, dass es mir in diesem Jahr weniger wichtig geworden ist, dass auf mich gehört wird. Ich gehe nur noch anderthalb Jahre zur Schule. Daher ist für mich wichtiger, was jüngere Schüler wollen. Außerdem war ich im letzten Schuljahr definitiv engagierter als jetzt, da hatte ich mehr Zeit. Das war eine coole Erfahrung, weil ich das Gefühl hatte, wirklich mitwirken zu können. Aber jetzt konzentriere ich mich stärker auf den Unterricht. Ich habe einfach nicht mehr so viel Zeit für Engagement in der Schule, weil ich immer Gefahr laufe, Stoff zu verpassen. Wenn ich in der Schülerversammlung sitze, verpasse ich bereits zwei Stunden, die ich anschließend nachholen muss.

aula: Das bedeutet, dass du dich eigentlich gerne mehr engagieren würdest, aber dir die Zeit dafür fehlt?

Edda: Ja, genau. Es fehlt allen an Zeit. Es gibt wohl manchmal Freistunden, die man theoretisch nutzen kann, um sich zu engagieren, aber weil nicht alle gleichzeitig frei haben, gibt es immer Schüler, die für ihre Teilnahme im Unterricht fehlen und dann alles nacharbeiten müssen. Manchmal riskiert man sogar eine Fehlstunde.

aula: Was bräuchte es außer Zeit noch, damit du besser mitentscheiden kannst?

Edda: Wenn man eine Idee oder ein Anliegen hat, ist es manchmal gar nicht so einfach herauszufinden, an wen man sich damit wenden kann. Theoretisch kann man immer zur Schulleitung gehen, aber die kann sich nicht um achthundert Schüler gleichzeitig kümmern. Es würde deswegen helfen, wenn regelmäßig direkt bei den Schülern nachgefragt wird, was gerade gebraucht wird. Aber vor allem braucht es mehr Zeit.

aula: Hat deine Teilnahme an dem aula-Projekt etwas für dich verändert?

Edda: Durch aula wurde mir zum ersten Mal bewusst, in welchen Bereichen wir Schüler vorher überhaupt nicht mitreden durften. Außerdem finde ich den Aufbau des Projekts gut. Also, dass es verschiedene Phasen gibt, durch die eine Idee immer konkreter wird. Und es ist schön zu wissen, dass die Idee auch umgesetzt werden muss, wenn sie es durch alle Phasen geschafft hat. Manchmal gibt es natürlich Schwierigkeiten: Die Idee mit den Periodenprodukten hat zwar viele Stimmen bekommen, aber es sind auch einige Problempunkte aufgekommen, an die ich vorher gar nicht gedacht habe. Oder ein anderes Beispiel ist, dass wir Sitzbänke vor dem Schulgebäude aufstellen wollten, was nicht geht, weil die Fassade nicht verändert werden darf. Das bedeutet, dass nicht immer alles klappt, aber zumindest erfahren wir Schüler jetzt die Gründe dafür. Dadurch merkt man, dass es nicht daran liegt, dass unsere Ideen nicht erwünscht sind. Wir wissen jetzt, wo wir ansetzen können, wenn wir etwas bewegen wollen.

aula: Was würdest du dir für nachfolgende Generationen von Schüler*innen wünschen?

Edda: Das ist für mich ein Riesenthema, weil ich noch zwei jüngere Geschwister habe. Ich wünsche mir natürlich, dass zum Beispiel das aula-Projekt ausgeweitet und intensiver genutzt wird, damit Schüler ihre Meinung besser einbringen können. Außerdem wünsche ich mir sowas wie Projekttage. Wir wollten mal unseren Klassenraum umgestalten, aber das ging nicht, weil es mal wieder keine Zeit dafür gab. Feste Projekttage könnte man gut für sowas nutzen.

aula: Denkst du, dass es in den nächsten Jahren mehr Mitentscheidungsmöglichkeiten für Schüler*innen geben wird?

Edda: Ja, ich würde sagen, dass wir auf einem guten Weg dahin sind. Die Digitalisierung ist dafür wichtig, denke ich. Früher gab es nicht die Möglichkeit, dass achthundert Schüler gleichzeitig zusammenkommen und sich austauschen ­– heute geht das auf digitalem Wege schon. Ich glaube, dass es noch etwas braucht, um alles wirklich in Gang zu bringen, aber dann ist einiges möglich. Hier an der Schule wurden bereits einige Projekte gestartet und es gibt viele engagierte Lehrer, an die man sich immer wenden kann und die einem helfen. Es wird also bereits versucht, etwas zu verändern.

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