In wichtigen Bereichen des eigenen Lebens mitbestimmen zu dürfen, fördert das Wohlbefinden und stärkt das Selbstbewusstsein. Allerdings gibt es in Schulen bislang nur selten feste Möglichkeiten zur Einflussnahme ­– obwohl Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit dort verbringen. Viele Schüler*innen haben daher das Gefühl, dass ihre Ideen und Bedürfnisse nicht gehört werden. Vincent ist siebzehn Jahre alt und geht in die zwölfte Klasse der Ellen-Key-Schule in Berlin. Er findet, dass es an seiner Schule genug offene Ohren für kleine Wünsche gibt. Auf der politischen Ebene jedoch passiere zu wenig – niemand rüttelt mal am System.

 

aula: Vincent, in welchen Bereichen in deinem Leben hast du das Gefühl, dass du mitentscheiden kannst?

Vincent: Im privaten Bereich kann ich mitentscheiden. Alles, was mich betrifft, entscheide ich im Prinzip selbst ­– was ich beruflich machen möchte, zum Beispiel. Wenn es auch um andere geht, dann hat man schon weniger Entscheidungsmacht. Und in so großen Institutionen wie der Schule, wenn es feste Strukturen gibt und verschiedene Positionen darin, dann ist es sehr schwer, etwas zu ändern.

aula: Das heißt, du nimmst die Schule als einen Bereich wahr, in dem du weniger Einflussmöglichkeiten hast als in deinem privaten Umfeld?

Vincent: Ja, genau. Aber auch die Politik. Das sind beides Bereiche, in denen es feste Grundsätze gibt, an denen man nicht so leicht etwas verändern kann.

aula:  Bedeutet das, dass es dir in der Schule schwerer fällt, deine Bedürfnisse und Ideen einzubringen?

Vincent: Es kommt sehr darauf an, welche Bedürfnisse das sind. An dem Benotungssystem oder dem Unterrichtsstoff kann man nicht rütteln. Da ist alles sehr starr.

aula: Würdest du gerne daran rütteln?

Vincent: Ja! Man könnte sollte sich mal ernsthaft fragen, wieso man das alles so macht. Das Notensystem wird ja bereits viel kritisiert. Ich finde, da sollte man wirklich mal was ändern.

aula: Was ist denn mit kleineren Wünschen, die nicht das große Ganze, aber trotzdem den Bereich Schule betreffen? Kannst du die äußern?

Vincent: Wenn es um kleinere Dinge geht, kommt es vor allem darauf an, an wen man sich wendet. Aber ich finde, an unserer Schule funktioniert es ganz gut. Es gibt viele engagierte Lehrer*innen, die man ansprechen kann, wenn man eine Idee oder einen Wunsch hat. Außerdem haben wir Schülersprecher*innen, die sich einsetzen.

aula: Das heißt, man stößt mit seinen Anliegen in der Regel auf offene Ohren?

Vincent: Mit den kleinen Anliegen schon. Aber wenn es um größere und eher grundsätzliche Fragen geht, dann passiert eigentlich nichts, wie gesagt.

aula: Was sind denn Beispiele für solche Wünsche oder Bedürfnisse, die du selbst hast oder die du häufiger von anderen hörst?

Vincent: Wenn es spezifisch um unsere Schule geht, dann ist gerade ein großes Thema, dass wir den vorderen Pausenhof nicht verändern dürfen. Aus Denkmalschutz-Gründen. Das ist allerdings der Bereich für die Oberstufenschüler*innen. Aktuell müssen wir quasi auf dem Gehweg stehen in unseren Pausen, weil wir eben keine Bänke oder sowas aufstellen dürfen. Das ist ziemlich nervig, aber da kann die Schule selbst nichts dran ändern. Davon abgesehen geht es viel um das System an sich, darum, dass die Notenvergabe oft ungerecht ist, zum Beispiel. Wir haben gerade erst wieder eine Matheklausur nach den Ferien geschrieben. Die fallen bekanntermaßen immer schlechter aus als die Klausuren, die vor den Ferien geschrieben werden. Aber da wird nichts verändert, das bleibt einfach so, obwohl wir uns beschweren. Weil man es schon immer so gemacht hat.

aula: Was bräuchte es, damit du besser mitentscheiden kannst – wenn wir jetzt einmal bei den kleineren Ideen bleiben, die sich direkt an deiner Schule umsetzen lassen?

Vincent: Also einmal, dass sich noch mehr Lehrkräfte offen für Veränderung zeigen. Dass man irgendwann wirklich mit allen reden kann und da nicht vor die Wand läuft. Aber dann auch so Möglichkeiten wie aula zum Beispiel. Projekte, die Schüler*innen dabei unterstützen, sich einzubringen.

aula: Konnte das aula-Projekt denn etwas für dich persönlich verändern?

Vincent: Ich war an der aula-Einführung an meiner Schule beteiligt. Da durfte ich zum Beispiel, gleichberechtigt mit den Lehrer*innen, darüber abstimmen, ob wir aula vor oder nach den Ferien starten. Das war schon cool. Das Gefühl, wie sehr man mitbestimmen darf, das hat sich schon verändert. Auch dadurch, dass man sich nicht mehr durch unnötig komplizierte oder unangenehme Situationen durchkämpfen muss, um eine Idee einzubringen. Dass man seine Idee direkt in der App posten kann, sorgt dafür, dass man auch mehr Lust hat mitzuentscheiden. Aber bisher ist aula bei uns eher noch in der Anfangsphase, also konkrete Projekte wurden noch nicht umgesetzt.

aula: Hast du selbst schon Ideen über aula eingebracht?

Vincent: Noch nicht wirklich. Aber wir Schüler*innen wollen ja auch oft das Gleiche. Zum Beispiel, dass die Toiletten nicht so oft verschmutzt sind oder dass es dort immer Toilettenpapier gibt und man nicht erst danach fragen muss. Da sind sich alle einig, dass sich da etwas verändern muss.

aula: Gibt es etwas, was du dir für nachfolgende Generationen von Schüler*innen wünschen würdest?

Vincent: Ja, Veränderung in diesen grundsätzlichen Themen. Zum Beispiel im Fach Sport sollte nicht so streng benotet werden. Da sollten alle, die sich wirklich anstrengen, auch die Chance auf eine gute Note haben. Beziehungsweise sollten wir uns vielleicht auch mal überlegen, ob es in Fächern wie Sport wirklich Noten braucht.

aula: Glaubst du, dass es in der Zukunft mehr Mitentscheidungsrechte für Schüler*innen geben wird?

Vincent: Ich weiß es nicht. Ich weiß, man soll immer positiv bleiben, aber es gab bisher so wenig Veränderung, dass ich da nicht besonders zuversichtlich bin. Da braucht es eine Veränderung in der Politik, also dass da wirklich mal der Wille zu Reformen in unserem Schulsystem aufkommt und das sehe ich noch nicht. Da bin ich gerade eher pessimistisch.

aula: Und im kleineren Rahmen?

Vincent: Ja, also da tut sich was. Mit Projekten wie aula zum Beispiel, aber auch dadurch, dass Schüler*innen durch das Internet, die sozialen Medien, die Globalisierung und so weiter früher politisch aktiv werden und verstehen, dass man Veränderung auch einfordern kann.

aula: Also denkst du, dass Schüler*innen in der Zukunft stärker dafür einstehen werden, dass sie mitbestimmen dürfen?

Vincent: Ja, genau. Ich glaube nicht, dass das die große Veränderung bringen wird. Aber im kleinen Rahmen, da kann sich zukünftig etwas bewegen.

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Nelly Paul