In wichtigen Bereichen des eigenen Lebens mitbestimmen zu dürfen, fördert das Wohlbefinden und stärkt das Selbstbewusstsein. Allerdings gibt es in Schulen bislang nur selten feste Möglichkeiten zur Einflussnahme ­– obwohl Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit dort verbringen. Viele Schüler*innen haben daher das Gefühl, dass ihre Ideen und Bedürfnisse nicht gehört werden. Jannis ist achtzehn Jahre alt und Schüler der zwölften Klasse des Wentzinger-Gymnasiums in Freiburg. Als Schülersprecher erlebt er die Schule als einen Ort, den er selbst mitgestalten kann. Jannis weiß aber, dass das längst nicht auf alle Schüler*innen zutrifft – und hat Ideen, was getan werden könnte, um das zu ändern.

 

aula: Jannis, in welchen Bereichen in deinem Leben hast du das Gefühl, dass du mitentscheiden kannst?

Jannis: Erstmal im Privaten natürlich. Alles, was mein eigenes Leben betrifft, darf ich selbst entscheiden – beispielsweise Fragen wie die, was ich nach dem Abitur machen möchte. Und dann bedeutet mitentscheiden ja nicht, dass ich alles allein entscheiden darf. Daher würde ich sagen, ich kann auch im Orchester mitentscheiden. Aber da wird es schon schwieriger, weil dort Hierarchien ins Spiel kommen. In der Schule fühle ich mich eigentlich auch gehört, obwohl die Hierarchien dort noch stärker sind und die Vorgaben von oben nach unten oft sehr absolut, sodass ich, wenn es um die großen Dinge geht, doch recht wenig mitentscheiden kann.

aula: Das heißt, du erlebst da schon eine Abstufung? Also solange es dich selbst betrifft, kannst du eigentlich alles entscheiden, im Orchester wird es etwas weniger und in der Schule noch weniger? Also sprich: Je stärker und festgefahrener die Hierarchien werden, desto weniger fühlst du dich, als könntest du mitbestimmen?

Jannis: Ja, genau.

aula: Was ist mit dem politischen Bereich?

Jannis: Ich habe das Wahlrecht, aber konnte es noch nicht nutzen. Ansonsten denke ich, dass es auch in der Politik so ist, dass man, wenn man etwas erreichen möchte, enorm viel Zeit und Energie aufwenden muss. Man kann das schon schaffen, über Bürgerbeteiligung oder andere formelle Wege, aber je höher es geht, desto schwieriger wird es. Damit meine ich: Auf kommunaler Ebene funktioniert es noch einigermaßen. Ich habe in Freiburg mit anderen Schülersprechern eine Schülervertretung neu aufgebaut und darüber schon das Gefühl bekommen, kommunal mitreden zu können. Aber bezogen auf die Landes- oder Bundespolitik… Da braucht es dann schon einiges, um etwas durchzusetzen.

aula: Lass uns noch einmal auf den Bereich Schule zurückkommen: Fällt es dir persönlich leicht, deine Ideen und Vorstellungen in der Schule einzubringen?

Jannis: Ja, aber ich habe als Schülersprecher auch eine besondere Rolle. Trotzdem würde ich sagen, dass es bei uns an der Schule insgesamt ganz gut funktioniert. Man wird als Schüler von der Schulleitung gehört und ernstgenommen. Ich selbst natürlich stärker, weil ich immer auch in meiner Rolle als Schülersprecher spreche, aber das Miteinander an unserer Schule ist insgesamt positiv. Trotzdem gibt es auch Ideen, mit denen man scheitert. Zum Beispiel finde ich, dass wir dringend die Abiturthemen reduzieren müssten, aber da ist nichts zu machen, da das eben die Vorgaben von ganz oben sind. Da fühle ich mich manchmal schon ohnmächtig angesichts des Systems. Aber solange die Themen gezielt unsere Schule betreffen, fühle ich mich gehört.

aula: Was denkst du, sind Gründe dafür, dass sich andere Schüler*innen weniger ernstgenommen fühlen als du?

Jannis: Für mich ist Schule viel mehr als nur Unterricht: Ich mache eigene SMV-Projekte, bin im Orchester, gehe abends zu Veranstaltungen und so weiter. Für andere ist Schule dann doch mehr dieses „Ich gehe hin, ich gehe in den Unterricht, ich gehe wieder nach Hause.“ Diejenigen, die Schule nur als Unterricht sehen und froh sind, sobald sie das Schulgelände nachmittags wieder verlassen dürfen, haben häufiger das Gefühl, nichts verändern zu können. Sich in der Schule zu engagieren ist unglaublich viel Arbeit. Man kämpft die ganze Zeit gegen Hierarchien an und bis man eine Kleinigkeit erreicht hat, kann es unter Umständen ganz schön lange dauern. Man braucht einen langen Atem und ich kann verstehen, dass manche sagen, dass sie da schlichtweg keine Lust drauf haben.

aula: Als Schülersprecher fühlst du dich ernstgenommen – aber wie war es, bevor du dieses Amt innehattest?

Jannis: Da gab es schone eine Entwicklung. Ich habe erst als ich Klassensprecher wurde das Gefühl bekommen, dass ich mitentscheiden kann. Wenn man jünger ist, reden auch die Eltern noch sehr viel rein – das erlebe ich andauernd. Wenn die Unterstufenschüler zum Beispiel ihre Handys in der Schule nutzen wollen, springen die Eltern direkt aufs Dach. Und auch Probleme werden häufig eher durch eine Mail der Eltern an die Lehrer gelöst. Da zeigt sich, dass man die jüngeren Schüler oft nicht ausreichend ernstnimmt.

aula: Fällt dir etwas ein, was es noch brauchen würde, damit du besser mitentscheiden kannst?

Jannis: Es braucht von allen Seiten eine größere Gelassenheit. Dass man Sachen einfach mal laufen lässt und Schülern etwas zutraut. Oft beschränken sich die Ideen von SMV auf Kleinigkeiten – eine Änderung der Hausordnung, neue Möbel auf dem Schulhof und so weiter. Daher würde ich mir mehr Raum für größere Ideen und Projekte wünschen. Damit meine ich auch, dass man zum Beispiel für Projekte wie aula Freiraum in der Unterrichtszeit schafft, damit nicht immer alles Zusätzliche in der Freizeit stattfinden muss. Außerdem sollten die Ideen von Schülern mehr anerkannt und auch begleitet werden. Darum geht es letztendlich: Dass Kapazitäten bereitgestellt werden, finanziell, aber auch personell, um Schüler wirklich bei der Umsetzung ihrer Vorhaben zu unterstützen. Dass nicht immer gesagt wird Das ist euer Ding, sondern gezeigt wird Es ist auch uns ein Anliegen.

aula: Denkst du, dass, wenn es mehr finanzielle und personelle Ressourcen gäbe, es auch zu mehr Beteiligung seitens der Schüler*innen käme?

Jannis: Ja, denn bisher ist jegliches Engagement zusätzliche Arbeit in der Freizeit. Ich merke zum Beispiel, dass, wenn ein SMV-Projekt während der Unterrichtszeit stattfindet, plötzlich andere Schüler dabei sind. Die chillen dann nicht und genießen die unterrichtsfreie Zeit, sondern sind wirklich motiviert bei der Sache. Es ist für viele einfach entspannter mitzuwirken, wenn du nicht andauernd deine große Pause opfern musst, um an einem Projekt mitzuarbeiten. Wenn anerkannt wird, dass ein SMV-Projekt genauso wichtig für das Leben sein kann wie das Durchdringen der Photosynthese bis ins letzte Detail, wird es möglich, dass sich mehr Schüler angesprochen fühlen und mitwirken wollen.

aula: Konnte das aula-Projekt in der Hinsicht etwas verändern?

Jannis: Es hat etwas gedauert, bis aula so richtig Fahrt aufgenommen hat bei uns. Die große Veränderung gab es bislang nicht, aber ich bleibe da positiv. Bislang werden vor allem Ideen eingestellt, die mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, schwer umzusetzen sind. So langsam hat sich aula aber in den Schulalltag eingeschlichen und es kommen auch kleinere Ideen dazu. Letztens im Deutschunterricht fragte eine Person, wieso es in der Schule eigentlich keinen Automaten geben würde, an dem man Hefte und Stifte kaufen kann und jemand anderes entgegnete: „Stell das doch auf aula ein.“

aula: Stellt ihr als Schüler*innenvertretung auch eure Ideen auf aula ein?

Jannis: Ne. Das wollten wir eigentlich machen tatsächlich, aber es ist bisher immer zwischen anderen Projekten untergegangen. Wir nutzen aber bereits aula, um die Ideen der anderen Schüler von dort aufzunehmen.

aula: Du machst ja im nächsten Jahr Abitur – bist du traurig, dass du deine Schule bald verlassen wirst?

Jannis: Ich glaube, wenn man nach dem Abitur etwas passendes für sich findet – ein Studium, eine Ausbildung oder so – dann ist das sicherlich erfüllender als Schule. Trotzdem wird irgendwas fehlen. Ich gebe mein Amt jetzt im Sommer ab, aber habe das noch gar nicht richtig realisiert. Ich will mich ab da komplett raushalten und die Vorstellung ist schon merkwürdig nach so vielen Jahren. Also ja, ein bisschen wehmütig bin ich schon und mir wird definitiv etwas fehlen. Natürlich gibt es Alternativen und ich könnte mich dann zum Beispiel kommunalpolitisch beteiligen, aber die Schule ist doch ein besonderer Ort – du kennst die Leute und die Abläufe und über die Jahre wächst man dann schon zusammen.

aula: Gibt es etwas, was du dir für nachfolgende Generationen von Schüler*innen wünschst?

Jannis: Noch mehr Einfluss. Und Rechte. Ich fände es zum Beispiel ein total starkes Signal, wenn bestimmte Themen nicht ausschließlich in Schulkonferenzen, sondern auch direkt mit Schülern besprochen werden würden und die dann auch eine gleichwertige Stimme hätten. Außerdem wünsche ich mir einen deutlich reduzierten Lehrplan mit mehr Freiheiten. Auch neue Formen des Lernens – es ist doch absurd, dass ich teils von morgens um acht bis abends um fünf in einem Klassenzimmer sitze und die Tafel anschaue. Ich wünsche mir, dass man das alles auflockert und individueller gestaltet.

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Nelly Paul