Wenn ich an meine Schulzeit denke, dann denke ich an vieles: An quälend lange Stunden im Matheunterricht, an Leistungsdruck, an Depressionen, an Mobbing und vor allem an den Uniformitätsdruck samt den starren Strukturen, die mir innerhalb der Schulmauern nicht nur das Gefühl gegeben haben, nicht ich selbst sein zu können, sondern auch, dass genau das im Grunde unerwünscht ist. Selbstwirksamkeit, Partizipation und demokratische Bildung waren für mich theoretische Überbleibsel aus dem Politikunterricht. Aber warum eigentlich? Und hätte das auch anders sein können?  

Wagen wir also einen kurzen Rückblick: Wir schreiben das Jahr 2009, mein siebtes Schuljahr beginnt und ich stehe mit meinen Freundinnen vor dem Eingang der Schule. Dabei sticht eines sofort ins Auge. Der vormals noch graue Betonklotz erstrahlt in neuen Farben. Genauer gesagt in fadem Gelb. Was sicherlich eher als beige angedacht war, erinnerte aber auch auf den zweiten Blick mehr an eine Urinprobe beim Arzt. Hätte der Schulanstrich für 1.4 Millionen Euro damals eine Note von der Schülerschaft bekommen, wäre er vermutlich durchgefallen. Denn auch wenn vorher nie über die Außenfassade diskutiert wurde, obwohl das triste Grau keineswegs eine Augenweide war, wurde nach dem Anstrich darüber geredet.  

Ich war zwar selbst keineswegs von der fragwürdigen Designentscheidung angetan und trotzdem hat mich die Frage beschäftigt, warum gerade das für so viel Zündstoff gesorgt hat. Ich glaube der Grund dafür, dass wir als Schülerschaft erst im Nachhinein protestiert haben, lag hauptsächlich an dem Fakt, dass man uns beispielhaft demonstriert hat, wie wir übergangen wurden. Zusammen mit rund 1500 Schüler*innen bin ich jeden Tag in diese Schule gegangen und niemand ist auf die Idee gekommen uns zu Fragen, mit welcher Ausgestaltung wir uns wohlfühlen würden und das, obwohl diese sich nachweislich positiv auf den Lerneffekt ausübt. Schade. An Kreativität und Ideen zur Gestaltung hat es damals definitiv nicht gemangelt. An Möglichkeiten, sich als Schülerschaft Gehör zu verschaffen, schon.   

Festgefahrene Strukturen müssen hingenommen werden 

Auch mit dem Überqueren der Türschwelle wurde man nicht unbedingt von einem Wohlfühlklima empfangen. Das hing für mich in vielen Fällen mit dem – aus meiner Sicht – konfusen und unnachvollziehbarem Regelwerk der Schule zusammen. Als Paradebeispiel dafür erwies sich der Aufenthalt in den Klassenräumen während der Pausenzeiten, der uns gänzlich untersagt war. Insbesondere in den Wintermonaten kam es deshalb immer wieder zu Diskussionen zwischen Schüler*innen und Lehrkräften, was unter anderem dem Umstand geschuldet war, dass die Klassenräume nahezu die einzigen Räumlichkeiten waren, die ausreichend beheizt wurden. Sogar die Sitzplätze, die zum Essen angedacht waren, befanden sich in direkter Nähe zur Tür. Den konstanten Durchzug gab es inklusive. Wer in den Pausen also gerne an einem Tisch essen wollte, hatte die unglückliche Wahl, sich zu seinem 1,20€ Schnitzelbrötchen ohne Aufpreis auch eine Blasenentzündung zu holen oder in dicker Winterjacke zu essen.  

Der Grund dafür war simpel: Wenn vereinzelte Schüler*innen während der Pausen in der Klasse bleiben würden, hätten sie eine Gelegenheit zu stehlen. Das ist eine Begründung, die man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen muss. Denn was im ersten Moment vielleicht nachvollziehbar klingt, lässt im nächsten schon den impliziten Verdacht der gesamten Schülerschaft durchscheinen. Zuerst möchte ich an dieser Stelle betonen, dass es an unserer Schule nie ein Problem mit Diebstahl gab. Man hat also präventiv versucht, ein Problem zu lösen, das gar nicht existierte und eine ganze Schule unter Generalverdacht gestellt. Dieses mangelnde Vertrauen in die Schülerschaft sehe ich grundsätzlich kritisch. Eine produktive Zusammenarbeit zwischen Schüler*innen und Lehrkräften steht bei so einem grundlegenden Misstrauen auf einem schlechten Fundament. Ganz gleich wie viele Diskussionen diese Regelung damals mit sich gezogen hat – und es waren nicht wenige – man blieb bei genau dieser Aussage und jegliches Hinterfragen wurde abgewiegelt, Kompromisslösungen wurden von vornherein unterbunden. Für mich war diese Regelung völlig irrational und nicht nachvollziehbar. Es hat sich nach einer reinen Prinzip-Sache angefühlt, die im Grunde für alle Beteiligten nur Nachteile bringt. Letztendlich hatte ich das Gefühl, dass unsere Sichtweise keine Rolle gespielt hat – und, dass die Artikulation unserer Wünsche im Grunde genommen ungewollt ist.  

 

Wie das Ausschöpfen der Machtposition schnell zur Bloßstellung führt 

Dieses Machtgefälle und der Eindruck, dass das eigene Wohlbefinden keine Rolle gespielt hat, haben meine Schulzeit für mich zu einer der unangenehmeren Erfahrungen gemacht hat. Wenn ich an Situationen denke, in denen ich mich in meinem bisherigen Leben unwohl gefühlt habe, werfe ich meistens einen Blick zurück auf meine Schulzeit. Referate vor der gesamten Klasse halten, zum Sprechen aufgefordert werden, obwohl man sich nicht gemeldet hat, an die Tafel zitiert werden, um etwas zu demonstrieren – Das alles sind Situationen, die ich immer und immer wieder erlebt habe. Insbesondere diese konstante Angst des „Aufgefordert Werdens“ hat mich durch die Schulzeit begleitet und sich vorzugsweise genau dann bewahrheitet, wenn sich gerade niemand meldet; als wäre das der beste Moment, um Schüler*innen, die sich selten mündlich beteiligen, zu ermutigen. Ich bin bis heute unsicher, woher dieser Gedanke kommt.  

Mir ist vollkommen klar, dass mündliche Beteiligung zur Schule dazugehört und auch, dass man im Zweifelsfall sagen kann, dass man etwas nicht weiß. Aber ich glaube, die meisten Menschen können dieses unangenehme Gefühl nachvollziehen, wenn plötzlich 30 Augenpaare auf einen gerichtet sind und man unsicher ist, was man sagen soll, sich unter Druck gesetzt fühlt und dann vielleicht redet, ohne nachzudenken. Es gibt sicher Schüler*innen, denen das nichts ausmacht. Aber für viele, und da schließe ich mich ein, waren diese Erfahrungen destruktiv. Je öfter ich dazu aufgefordert wurde, etwas zu sagen, desto weniger habe ich mich von selbst gemeldet. Diese Momente haben mir den Mut genommen, etwas zu sagen. Ein sensiblerer Umgang wäre hier wichtig gewesen. Insbesondere bei Lehrer*innen, denen es offensichtlich Spaß gemacht hat, ihre Machtposition in diesen Momenten auszureizen. Denn auch die gab es. Eine Idee wäre in jedem Fall eine anonyme Beschwerdestelle, ein Kummerkasten oder auch eine Fortbildung für die Lehrkräfte gewesen, die immer wieder durch ihr fehlendes pädagogisches Verständnis aufgefallen sind.  

 

Die tägliche Qual und welche Werte einem wirklich vermittelt werden 

Ich gehe also morgens in meine uringelbe Schule, kleide mich in der Mittagspause, als wäre das Michelin-Männchen mein Vorbild, damit mir die Blasenentzündung erspart bleibt und richte dann ein Stoßgebet gen Himmel in der Hoffnung, dass ich nicht ohne mein Zutun aufgerufen werde. Fünf Tage die Woche, acht Jahre lang, ohne das Gefühl zu haben, gehört oder gesehen zu werden, geschweige denn etwas an den festgefahrenen Strukturen ändern zu können. 
Ich glaube, dass gerade die Tatsache, dass die eigenen Bedürfnisse und Wünsche nicht berücksichtigt wurden, dazu geführt hat, dass ich innerhalb der Schule nicht ich selbst sein konnte. Ich hatte das Gefühl, dass Schule kein Ort für Bedürfnisse und Wünsche ist, dass es sich dabei um Dinge handelt, die für den Raum außerhalb gedacht sind. 
Das Tragische daran ist nicht einmal, dass die Schulzeit für mich eine unangenehme Erfahrung war, sondern der Umstand, dass es auch über die Schulzeit hinaus noch eine Weile gebraucht hat, bis ich verstanden habe, dass meine Stimme einen Wert hat und, dass es die Möglichkeit gibt, mir Gehör zu verschaffen. Selbstwirksamkeitserfahrungen und die Chance auf eine freie Entfaltung, sind für mich entscheidend, um genau das zu lernen. Wenn ein System das verhindert, indem es einem vermittelt, dass man die eigenen Bedürfnisse und Ansichten vor der Türschwelle ablegen muss, weil Schule kein Ort dafür ist, dann ist das ein schlechtes System. 

 

Hätte aula helfen können, etwas zu verändern? 

Mit aula hätte es vielleicht die Möglichkeit gegeben, dieses Machtgefälle aufzuweichen und die hierarchischen Strukturen auszugleichen. Zumindest bis zu einem gewissen Grad. Man hätte sich auf einen Austausch einlassen und sich die Ideen der Schüler*innen zumindest anhören müssen. Das wäre ein Anfang gewesen. Mittlerweile weiß ich, dass es Vorschriften zur Gestaltung der Schulfassade gibt, und ich bin mir ebenfalls der Tatsache bewusst, dass die Aufsichtspflicht es schwierig macht, Schüler*innen allein in einem Klassenraum zu lassen. Aber auch da hätte aula einen Ansatz geboten, in dem man diesbezüglich Transparenz geschaffen hätte. Auch das „Warum“ zu verstehen, kann helfen, um unliebsame Regeln gegebenenfalls zu akzeptieren. Es hätte vielleicht dieses Ohnmachtsgefühl vertrieben und vermittelt, dass man sich respektvoll und auf Augenhöhe begegnet. Und es hätte mir vielleicht viel eher deutlich gemacht, dass die eigene Stimme einen nicht zu unterschätzenden Wert hat, von dem man gerade bei Ungerechtigkeiten und in Krisenzeiten Gebrauch machen sollte.   

Das Projekt aula als solches wurde 2014 ins Leben gerufen; ein Jahr vor meinem Schulabschluss. Für mich leider ein bisschen zu spät. Aber der Ausblick darauf, dass aus dem Projekt mittlerweile eine eigene gemeinnützige Organisation geworden ist und das Interesse an einer Umgestaltung und Demokratisierung von und an Schulen steigt, stimmt mich positiv für die Zukunft.   

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Lea Lackmann